Menü Inhalt

Anfang

alte stimmen (ab 2010)

Ein künstlerisches und soziokulturelles Forschungsprojekt

Projektauftrag der Addy-von-Holtzbrinck-Stiftung Stuttgart. Gesamtleitung und Konzeption: Bernhard König. In Zusammenarbeit mit dem Generationenzentrum Sonnenberg (Stuttgart), dem Hospiz Stuttgart, der Kölner Philharmonie und der Evangelischen Kirchengemeinde Troisdorf.

Anfang 2010 beauftragte die Stuttgarter Addy-von-Holtzbrinck-Stiftung den Komponisten Bernhard König, in einem mehrjährigen künstlerischen Forschungsprojekt neue Konzepte für das Singen und Musizieren im Alter zu entwickeln.

Welchen Beitrag vermag ein experimentelles, stilistisch unkonventionelles Musikverständnis zu leisten, um den Bedürfnissen, Fähigkeiten und stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten alter Menschen entgegen zu kommen? Kann es – jenseits von Volkslied, deutschem Schlager und klassischem Chorgesang – noch eine ganz andere „Musik für Alte“ geben? Kann der Erfahrungs- und Methodenschatz der Konzertpädagogik und des „interaktiven“ Erfindens von Musik auch für die Zielgruppe der über 70jährigen fruchtbar gemacht werden?

Das sind die Fragen, denen über zweieinhalb Jahre hinweg im Rahmen dreier höchst unterschiedlicher Teilprojekte nachgegangen werden soll.

 

Die drei Teilprojekte:

Ein neu ins Leben gerufener Offener Experimentalchor in Köln und Troisdorf, der sich an kulturell aktive und aufgeschlossene Sängerinnen und Sänger ab siebzig richtet.

Musik im Altenheim in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Generationenzentrum Sonnenberg.

Musik im Hospiz in Kooperation mit dem Hospiz Stuttgart.

 

 

Offener Experimentalchor für alte Stimmen (Köln / Troisdorf)

Singen ab siebzig

Ein offenes Angebot für Männer und Frauen ab 70, die gerne singen und aufgeschlossen für Neues, Abenteuerliches, Ungewöhnliches sind. Im Mittelpunkt der Proben steht die Lust am Ausprobieren und die Freude am musikalischen Experiment. Das Ziel des Chores: Gemeinsam improvisieren, das Ausdruckspotential der eigenen Stimme entdecken und irgendwann gemeinsam auf der Bühne stehen. Die Voraussetzungen: Experimentierfreude, Aufgeschlossenheit, Spaß am Singen – und ein Mindestalter von 70 Jahren.

Stimmen mit Charakter

Bei vielen Menschen verändert sich die Stimme im Alter. Unser Ohren, geprägt durch CD, Funk und Fernsehen, nehmen diese Veränderungen häufig als Defizit wahr. Doch eine ältere Stimme gewinnt zugleich an Charakter, wird individueller: Wenn ältere Menschen singen, dann kann das eine für uns Jüngere unnachahmliche expressive Kraft haben.

In der Klangästhetik eines herkömmlichen klassischen Chores, in der Oper oder in der kommerziell geglätteten Fernseh-Volksmusik ist für solche „alten Stimmen“ wenig Raum. Aber es gibt durchaus auch Beispiele für die Schönheit einer „faltigen“ und ganz individuellen Stimme: Von der privaten Erinnerung an die Schlaflied-singende Oma bis hin zu den markanten Stimmen eines Tom Waits oder eines Louis Armstrong, die viele gerade wegen ihrer Andersartigkeit faszinieren.
Im Experimentalchor „Alte Stimmen“ soll gemeinsam nach neuen Tönen für alte Stimmen gesucht werden. Im Lauf der Proben entstehen neue Lieder, Chorsätze und Kompositionen, die ganz auf die Ideen, Erfahrungen und Fähigkeiten der Teilnehmenden zugeschnitten sind.

Ausführlichere aktuelle Informationen zum Experimentalchor (Proben- und Aufführungstermine) unter www.alte-stimmen.de.

 

Offener Experimentalchor: Das Team

Projektleiter Bernhard König wird bei der Leitung des Chores von vier Kolleginnen unterstützt:

Ortrud Kegel

geboren 1960, Musikpädagogin, Flötistin und Improvisatorin. Ortrud Kegel ist Mitgründerin des Ensembles "Partita Radicale" für Neue und improvisierte Musik, das sich die Erforschung des Grenzbereichs zwischen Improvisation und Komposition zur Aufgabe gemacht hat. Als freie Mitarbeiterin bei der Akademie >Off-Theater< nrw leitet sie Workshops für experimentelle Musik und Musiktheater. Als Mitarbeiterin des Kölner Büro für Konzertpädagogik leitet sie kulturelle Schulprojekte.

Alexandra Naumann

geboren 1967, studierte Jazz-Gesang an der Musikhochschule Köln, parallel dazu und seitdem wirkte sie bei zahlreichen Produktionen als Solo-Sängerin und Performerin mit. Als Konzeptfrau, Arrangeurin, Komponistin und Bandleaderin gestaltet sie diverse eigene Produktionen, zuletzt „Lunatic- Jazz vom Mond “. Sie ist freie Mitarbeiterin des Büros für Konzertpädagogik und seit Jahren im besonderen Maße in integrativen Projekten aktiv. Darüber hinaus arbeitet sie als freie Gesangspädagogin und Chorleiterin sowie als Dozentin für Populären Gesang an der Musikhochschule Köln.

Brigitte Rauscher

geboren 1961 in Curitiba, Brasilien. Nach dem Studium an der Bundesuniversität Paraná (Psychologie) und an der Musik- und Kunsthochschule ihrer Heimatstadt (Orgel und Klavier) absolvierte sie ein Aufbaustudium im Fach Orgel bei Prof. Michael Schneider an der Musikhochschule Köln mit abschließender Reifeprüfung. Darüber hinaus studierte sie Kirchenmusik an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf (A-Examen, Chorleitung bei Prof. Volker Hempfling). Meisterkurse besuchte sie u.a. bei Michael Radulescu, Luigi Ferdinando Tagliavini, Guy Bovet und Jon Laukvik im Bereich der Orgelinterpretation und bei Frieder Bernius, Uwe Gronostay, Anders Eby und Eric Ericson in Chorleitung. Sie ist Kantorin der Evangelischen Kirchengemeinde Troisdorf und Kreiskantorin des Kirchenkreises an Sieg und Rhein und außerdem als Konzertorganistin sowie als Dozentin im Rahmen von Fortbildungen in Deutschland und Brasilien aktiv.

Monika Winterson

studierte Musikwissenschaften und Romanistik in Köln, Florenz und Berlin. Seitdem war sie in Deutschland und Belgien freiberuflich als Dramaturgin, Dozentin für Musikgeschichte, Übersetzerin sowie als Musik- und Sprachlehrerin tätig. Sie unterrichtet Klavier, Blockflöte und musikalische Früherziehung und ist im Bereich der Offenen Ganztagsschule aktiv. Darüber hinaus 2. Geschäftsführerin einer privaten Musikschule. Seit 2008 gehört sie zum Team des Kölner Büros für Konzertpädagogik.
 

Offener Experimentalchor: Unterstützer und Kooperationspartner

Der Offene Experimentalchor „Alte Stimmen“ ist ein Förderprojekt der Addy-von-Holtzbrinck-Stiftung (Stuttgart). Konzept und Durchführung: Büro für Konzertpädagogik.
In Kooperation mit den Musikprojekten der Kölner Philharmonie/KölnMusik, der Evangelischen Kirchengemeinde Troisdorf und ON – Neue Musik Köln.

Mit freundlicher Unterstützung durch das Domforum Köln und die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Brück/Mehrheim

 

 

 

Musik im Altenheim (Stuttgart)

Das Generationenzentrum Sonnenberg in Stuttgart-Degerloch vereint 30 betreute Wohnungen und mehrere ambulante Tagespflegeplätze mit einer vollstationären Pflegeeinrichtung von insgesamt 162 Plätzen. Nach dem Generationenprinzip „Alt und Jung unter einem Dach“ beherbergt das Haus auch einen Kindergarten. Senioren und Kinder treffen sich regelmäßig, um zu basteln, zu singen und zu spielen.

 

(Fotos Sonnenberg: Alex K- Müller)

 

Die ersten Projektschritte und ihre Zielsetzungen:

Die Schönheit der eigenen Stimme entdecken

Will man Altenheimbewohnern zum solistischen Gesang animieren, dann bekommt man häufig zu hören: „Ich kann doch nicht mehr singen“. Originalton einer 83jährigen: „Ich hab früher so gerne gesungen. Bei Alle Vögel sind schon da hab ich früher die Oberstimme gesungen. Das geht heut nicht mehr. Ich komme nicht mehr hoch. Das sind nur noch Trümmer in meinem Hals.“
Tatsächlich: Die Stimme verändert sich im Alter, wird brüchig, tiefer, weniger substanzvoll. In der Klangästhetik eines herkömmlichen klassischen Chores kommen solche Stimmen ebenso wenig vor wie in der Oper oder in der kommerziell geglätteten Fernseh-Volksmusik. Aber sind sie deshalb zwangläufig weniger „schön“? Gegenbeispiele gibt es viele – von der privaten Erinnerung an die Schlaflied-singende Oma bis hin zur heiseren Stimme eines Tom Waits, die viele gerade wegen ihrer Andersartigkeit fasziniert.
Die Stimme eines Achtzig- oder einer Neunzigjährigen hat schon allein dadurch eine für uns Jüngere unnachahmliche expressive Kraft, dass sich hier ein langes Leben klanglich manifestiert. Eines der Hauptziele dieses Projektes wird es deshalb sein, mithilfe von gezielten Spielen, Übungen und Liedern zu helfen, diese gewandelte Ausdruckskraft zu entdecken und ihre besondere Schönheit zu akzeptieren.

Neue Spiele und Lieder für Kinder und Alte

Der besondere Zuschnitt des Generationenzentrums Sonnenberg eröffnet die Chance, bereits bestehende Strukturen zu nutzen und sich in die ohnehin stattfindenden regelmäßigen Begegnungen zwischen Kindergartenkindern und Altenheimbewohnern einzuklinken. Für solche Begegnungen neue Lieder und Spiele zu erfinden – oder auch bereits bestehende Lieder abzuwandeln – dürfte eine dankbare und fruchtbare Aufgabe sein.

Biographische Interviews

Gemessen am normalen Alltag eines Altenheims zeichnet sich dieses Projekt dank der ergebnisoffenen Finanzierung durch eine Privatstiftung durch eine überaus „luxuriöse“ Ausgangsbedingung aus: Sich ganz dem einzelnen Menschen und dem Thema „Musik“ widmen zu können – ohne den äußeren Druck der täglichen Pflegeroutine und ohne ein zu erfüllendes therapeutisches Pflichtpensum.
Diese Chance soll genutzt werden, um zu Beginn (und bei neu hinzukommenden Mitwirkenden dann auch später, im weiteren Verlauf) intensive Einzeldialoge zu führen. Bei denjenigen Gesprächspartnern, die über ein intaktes Erinnerungsvermögen verfügen und zu einem artikulierten Austausch fähig sind, soll diese Begegnung in Form eines biographischen Interviews gestaltet werden.
Zentrales Thema dieser Interviews werden die „Lieblings- und Lebenslieder“ des oder der Betreffenden sein: Lieder, die in der eigenen Biographie verankert sind und für eine ganz besonderen Geschichte, Stimmung oder Erinnerung stehen. Stärker als im bloßen Erzählen und Erinnern sind in solchen „Lebensliedern“ oft sehr intensive Emotionen gespeichert: Erste Verliebtheit oder traumatische Abneigung. Tiefe Trauer oder überschäumende Lebenslust. Inbegriff glücklicher Kindheit oder beklemmender Anklang an dunkle Zeiten...

Konfrontation mit dem Neuen

Musikalische Angebote im Altenheim knüpfen in der Regel an Erinnerungen, an die Lieder und Schlager „von damals“ an. Auch im Projekt „alte stimmen“ soll dieser Weg verfolgt werden – allerdings nicht nur und ausschließlich. Zumindest testweise soll auch die Konfrontation mit gänzlich fremden (und damit auch unbelasteten) Klängen erprobt werden: Die Mitwirkenden erforschen Musikinstrumente und Klangerzeuger, die sie vielleicht noch nie zuvor in der Hand gehabt haben. Dabei können beispielsweise auch elektronische Programme zum Einsatz kommen, mit deren Hilfe die eigene Stimme auf unterschiedlichste Weise moduliert und klanglich verändert werden kann.

 

Unterstützer und Kooperationspartner:

Ein Förderprojekt der Addy-von-Holtzbrinck-Stiftung (Stuttgart) in Kooperation mit dem Generationenzentrum Sonnenberg und dem Studiengang "Elementare Musikpädagogik" der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart.

 

 

Musik im Hospiz (Stuttgart)

Das Hospiz Stuttgart verbindet ambulante Angebote und derzeit sieben stationäre Pätze mit palliativen Beratungsangeboten und einer begleitenden Akademie-Arbeit (Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie für Bildung und Forschung).

Welche Rolle kann das Handwerk eines Komponist und Konzertpädagogen in einem solchen Umfeld überhaupt spielen? Vermag denn so jemand hier überhaupt etwas auszurichten? Nicht umsonst ist der Einsatz von Musik an einem solchen Ort in der Regel die Sache ausgebildeter Musiktherapeuten!
Der dritte Schauplatz dieses Projektes wirft zu Beginn vor allem viele Fragen auf. Es wäre derzeit noch viel zu früh, Prognosen über den Verlauf dieser Arbeit abzugeben. Bei aller Ungewissheit gibt es aber doch eine klare Richtung und einen inneren Leitfaden. Um es mit dem berühmten Zitat von Cicely Saunders, der Begründerin der Hospiz-Bewegung, zu formulieren: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“

Die Persönlichkeit zum Klingen bringen

In der Fachliteratur zur Hospiz-Bewegung werden häufig musikalische Metaphern verwendet: Die eigene „Lebenssinfonie fertig spielen“. Der „Entmündigung“ am Lebensende etwas entgegensetzen. Einen „Resonanzboden“ erzeugen, der die eigene Persönlichkeit der Hospizbewohner „zum Klingen bringt“.
Hier könnte eine erste Spur für die künftige Arbeit im Hospiz liegen: Anknüpfend an biographische Gespräche könnte behutsam versucht werden, diese Metaphern einmal ganz wörtlich zu werden und den einzelnen Gesprächspartnern das von ihnen Erzählte musikalisch zu spiegeln. Mit Hilfe von unkonventionellen musikalischen Mitteln, teilweise auch mit Hilfe von externen Gastmusikern, könnte versucht werden, musikalische „Lebensthemen“ des jeweiligen Gegenübers so zu arrangieren, dass seine spezifischen Erlebnisse und Emotionen darin hörbar werden.

Musik für Grenzzustände

Musiktherapeuten verwenden häufig eine eigene, spezielle Musik für Grenzzustände des Bewusstseins. So erfahren beispielsweise Wachkoma-Patienten mit Hilfe von sphärischen und meditativen „Klangmassagen“ Entspannung und Schmerzlinderung oder auch Stimulation.
Oft kommt hier eine handelsübliche „Meditationsmusik“ zum Einsatz. In enger Zusammenarbeit mit Angehörigen und Pflegenden soll behutsam nach eventuellen musikalischen Alternativen gesucht werden: Eine persönliche, ganz auf den einzelnen Menschen zugeschnittene Klanglichkeit für den Zwischenbereich zwischen „Dasein“ und „Abwesenheit“.